Anfänger Training

An einem grauen Donnerstag in Februar habe ich mir beim Taekwondo Training den Knöchel verstaucht. Nichts Schlimmes, nur ausreichend, dass ich 1-2 Tage leicht humpelnd durch die Welt gehen musste. Da ich am nächsten Tag immer noch etwas lädiert war, entschied ich nicht in dem normalen Training, sondern zum Anfänger Training zu gehen.

Normalerweise habe ich mit meinem grün-blauen Gurt einen der niedrigen Grade. In Anfänger Training bin ich die Gradhöchste. Aber auch hier lerne ich viel: Bewegungen langsam und korrekt auszuführen, das richtige Dehnen und noch viel mehr, wofür im normalen, schnellen Training nicht so viel Zeit bleibt. Und ich komme natürlich sehr gut mit. Aber ich kann nicht aufhören, Staunen für die Menschen zu fühlen, die im nicht mehr jungen Alter etwas Neues (und Schwieriges) anfangen und mit Begeisterung dabei bleiben. Es gäbe so viele Gründe, Taekwondo nicht zu machen.

Erstens, es ist sehr Zeit intensiv und wer hat heutzutage schon Zeit? Zweitens ist es auch nicht unbedingt einfach, damit zu Recht zu kommen,  man hat viel gelernt, vielleicht studiert, sich Kompetenzen angeeignet. Und hier ist man wirklich wieder bei null und kann wieder so gut wie nichts, blamiert sich vielleicht. Drittens, mir ging es oft so, dass mich viele mit einer gewissen Ablehnung fragen: „Was machst du noch alles?“, und „Ist dir das nicht peinlich?“. Es ging dabei weniger um Taekwondo (was nicht zu den allgemeinen Fertigkeiten gezählt wird), sondern um Sachen wie Fahrrad fahren (was ich mit 27 gelernt habe), und schwimmen (womit ich im vorigen Jahr angefangen habe). Auch beim Technischen Hilfswerk, wo ich im Vorjahr die Grundausbildung absolviert habe, war ich eine der ältesten in der Gruppe. Die Antwort ist: nein, überhaupt nicht. Es ist vielleicht bequemer, etwas nicht zu machen, aber gerade dann ist man wirklich alt, wenn man sich nicht mehr traut, oder das peinlich findet.

Ich bin fest überzeugt, dass es eine Kunst ist, etwas sehr gut zu können, weil man es als Kind oder Jugendliche gelernt hat und seit Jahrzehnten übt. Es sieht auch sehr schön aus, diesen Menschen zuzuschauen oder zuzuhören. Aber noch eine fast größere Kunst ist es, mit über 40, 50, 60, 70,… es zu wagen, etwas zu beginnen und dran zu bleiben, auch wenn es schwierig ist und die meisten anderen es augenscheinlich viel besser können.

In diesem Sinne ziehe ich meinen Hut vor den Anfänger*innen in meinem Taekwondo Training; vor dem pensionierten Arzt oder der Schauspielerin in den besten Jahren, die mit sehr viel Elan nach dem Training noch stundenlang üben. Vor dem Herrn mit schneeweißem Gurt, der 20 Mal den ersten Hyong geübt hat und voller Überzeugung am Ende der Stunde sagte: „Bis nächsten Freitag kann ich es!“. Ich verneige mich auch vor meinem Kollegen in der THW Gruppe (seines Zeichens gelernter Metzger, Ende 30 und Familienvater), der sich mit viel Begeisterung die Geheimnisse der Stromerzeugung und Beleuchtung nach und nach aneignet und noch vor älteren Semester, die mit mir die Grundausbildung beendet haben.

Ich freue mich, dass ich auch zu euch gehöre. Wir werden sicher nicht mehr Weltmeister*innen, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht zu den Besten gehören. Habe mal gehört, dass am Ende des Lebens die Menschen meistens nicht das bereuen, was sie getan, sondern was sie nicht getan oder nicht mal versucht haben. Mir geht es dabei wie dem Schwan, der sich über die halbgefrorene Seefläche abmüht: es ist manchmal zäh, ich komme langsam voran, aber es macht richtig viel Spaß.