Der Mauerweg: die Stadtroute

Am Montag starten wir unsere Wanderung am S-Bahnhof Hermsdorf. Wir laufen durch einen Stadtteil voll Villen und fragen uns, wie hoch manche Heizkostenrechnungen hier wohl sein mögen.
Aber heute stellt sich diese Frage nicht wirklich, bereits um 11 Uhr sind es über 30 Grad und kein Wölkchen am Himmel. Nach wenigen Kilometer überqueren wir die Grenze nach Brandenburg. Das Dorf Alt-Lübars und der Tegeler Fließ mitten in einem Naturschutzgebiet sind die nächsten Punkte auf der Karte.
Links und rechts liegt weißer Sand. Wir essen rote und gelbe Mirabellen direkt von den Bäumen. Die Brombeeren sind allerdings richtig sauer.

Weiter geht es über die Bahn zur Gedenktafel für das Krankensammellager Blankenfelde. Hier starben zwischen 1941 und 1945 hunderte russische Zwangsarbeiter*innen an Krankheiten, katastrophaler Hygiene und mangelnder Versorgung.
Die Sonne brennt als wir im Märkischen Viertel ankommen. Der Mauerweg führt an Hochhäusern, verlassenen Spielplätzen und an einer Firma vorbei, die Lokomotiven baut. Jetzt geht es durch den Wald und es ist schattig, aber nicht wirklich spannender. Diese Strecke reizlos zu nennen wäre fast untertrieben. Überall türmt sich Müll.
Die Gedenktafel in Erinnerung an Holger Frank, eins der Maueropfer, kann man noch lesen, die daneben ist mutwillig zerstört worden.
Die letzte Stunde verbringen wir auf dem Friedhof im Pankow. Ich denke mir, wenn ich tot hier liegen würde, würde ich mich im Grab umdrehen: die vielbefahrene Straße ist laut, Flugzeuge fliegen im Minutentakt darüber. Kurz vor dem Bahnhof Wollankstraße kommen wir zu einem netten Lokal.Wir trinken schwarzes Bier und beobachten die Flugzeuge, die über unseren Köpfen in der Ferne verschwinden.
Dienstag
Für heute sind 38 Grad vorhergesagt. Ich ziehe lange Kleidung an, wie in der Wüste. An der Wollankstraße geht es zunächst durch ein Wohngebiet, später durch einem Park mit japanischen Kirschbäumen, die etwas Schatten spenden. Eine Oma vor uns erklärt der Enkelin, wie es damals in der Schule war. 40 Kinder in der Klasse und viele Schwierigkeiten, wenn man “anders” war.
An der Bornholmer Straße kann man lesen, was am 9. November 1989 hier passierte, als 20000 Menschen die Grenze überqueren wollten. Wer das genauer wissen will, kann das in dem sehr sehenswerten Film “Bornholmer Straße” erfahren.
Unter einer Brücke wohnt jemand und sein oder ihr “Wohnzimmer” ist schön aufgeräumt.
Es geht weiter durch die staubigen Straßen. Überall wird gebohrt und gehämmert, es ist laut. An der Isländischestraße wünsche ich mir, ich wäre dort (in Island).
Es folgt die Bernauerstraße mit jeder Menge an Erinnerungstafeln und das Gedenkzentrum. Meine Kamera gibt den Geist auf. Es ist laut, voll und heiß und ich bin deprimiert.
In der benachbarten Brunnenstraße gibt es jede Menge Möglichkeiten, lecker zu essen und ich freue mich über eine kalte Gurkensuppe.
Am Nordbahnhof gibt es eine Ausstellung über Berlins Geisterbahnhöfe: zugemauerte Eingänge der Linien, die jeweils in den anderen Stadtteil fuhren. Es weht ein kühler Wind und meine Kamera geht immer noch nicht.
Wir gehen weiter in der Sonne, an der Gartenstraße und am Domfriedhof vorbei. Links liegt das Bundeswehrkrankenhaus, vor uns die Charité. Ein Mann mit einer Infusionsnadel im Arm spaziert vor dem Krankenhaus auf und ab. Ich denke, dass ich mich nicht wegen der kaputten Kamera grämen soll, sondern mich freuen, dass meine Körperteile alle einwandfrei funktionieren, auch bei diesen Temperaturen. Es ist manchmal leichter gedacht als getan…
Wir kommen am Reichstag vorbei und die offizielle Strecke ist gesperrt. Ich frage einen Polizisten nach dem Grund, er schwitzt, ist genervt und schnauzt mich an. Wir gehen über einem kleinen Umweg weiter.
Ende der Strecke ist heute der Potsdamer Platz. In den Arkaden hole ich mir Algensalat und Gyros (beide im Plastik verpackt) und träume von einer Currywurst. Ab heute übernachten wir in der Nähe von Schönefeld. Das Hotel ist freundlich und sauber aber groß und gehört zu einer Hotelkette. An dem Thema nachhaltig Reisen muss ich noch arbeiten…
Mittwoch
Wetterbericht zeigt dasselbe wie gestern an. Erneute Aktualisierung der App bringt nichts: 38 Grad und 13 Stunden Sonne bleiben stehen. Leider hat sich bei meiner Kamera auch nichts getan, immer noch kaputt 🙁
Am Bahnhof Schöneweide erinnert ein Schild daran, dass Armut kein Verbrechen ist.
Wir beginnen unseren heutigen Weg am Potsdamer Platz, da wo wir gestern aufgehört haben. Zunächst gehe ich mit der Kamera ins Elektrogeschäft und es stellt sich heraus, dass mein Objektiv kaputt ist. Ich würde gerne ein neues kaufen, aber es gibt nur “high end” Produkte, teurer als meine gebrauchte Kamera selbst. Dann muss ich eines im Internet bestellen und so lange mit dem Handy fotografieren. Über beides ärgere ich mich, aber das ist nun mal so.
Wir sind bald an Checkpoint Charlie und ich kann endlich mal in der Nähe meine Gelüste nach Currywurst ohne Tier stillen. Schmeckt wie gepresstes Karton.
An der East Side Gallery gibt es wieder Menschenmassen und wir versuchen, schnell vorbei zu gehen, mit mäßigem Erfolg.
Ein Elektrotrabbi fährt lautlos vorbei.
Weiter geht es über Kreuzberg und ich muss über den Verkehr sinnieren. Zu viel, zu laut!
In einem Park finden wir zwei Bänke im Schatten, aber die benachbarte Mülltonne stinkt fürchterlich. Ich muss seit Montag an Peter Fox’ Textzeile denken: “Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein!” und auch wenn es nicht Morgen ist, komme ich nicht umher, ihm gerade Recht zu geben.
Wir schlängeln uns am Rande von Industriegebieten und an großen und kleinen Baustellen vorbei.
Später gehen wir eine lange Straße entlang, links und rechts unzähligen Kleingärten. Jede Kolonie hat einen lustigen Namen (Frohsinn,  Goldweide, Gemütliches Heim) und eine Kneipe, die scheinen heute aber alle geschlossen zu sein. Ein hilfreicher Berliner hat Mitleid mit uns und zeigt uns den Weg zum “Südpol”, es hat offen.
Dem Namen in Ehren sind es drinnen mindestens 10 Grad weniger. Der Radler mit Fassbrause schmeckt wunderbar und das Essen auch. Die Wirtin, eine blonde patente Frau, kennt alle Gäste mit dem Vornamen.
Mit Bedauern machen wir uns später auf dem Weg. Die Rechnung inklusiv Trinkgeld ist unanständig niedrig. Vor dem Eingang sind zwei Rollatoren geparkt.
Wir kommen zum Plänterwald und gehen an einem giftgrünen Kanal entlang.
Der Park ist verlassen und kurz vor der Sonnenallee fange ich an, diese Stadt wieder zu mögen. Und so bleibt es für die letzten sechs Kilometer des Tages, entlang des Teltowkanals, der Autobahn und der staubigen heißen Straßen.
Armut und Reichtum, Geschichte und Moderne, Tourismus und Einsamkeit. Man kann hier alles haben, und das an einem einzigen Tag.

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