Tag 4. Wochentag hab ich vergessen.
Heute sind es 3 Grad weniger als gestern, also nur 35. Dafür haben wir die längste Etappe vor uns.
Wir beginnen irgendwo am Teltower Kanal. Links fließt der Verkehr auf der Autobahn und das ist schon das einzige, was an Menschen erinnert. Es ist sonnig, heiß und einsam.
Hier und da gibt es am Weg Erinnerungen an die Maueropfer, die meisten davon junge Männer. Eine Tafel erklärt wo eine Spionageanlage der Amerikaner war.
Wir kommen an einem Kiosk vorbei und trinken kalten Kaffee. Das alkoholische Bier kostet hier weniger als das alkoholfreie, und beide kosten sehr wenig. Zwei ältere Herrschaften kommen dazu, über die Hitze stöhnend, dabei sind sie mit Elektrorädern unterwegs.
Wir sind im Süden unterwegs, in Brandenburger Lankreisen, deren Namen ich bisher noch nie gehört habe. Wir gehen durch Wälder und entlang Wiesen, an der (ehemaligen) Mülldeponie entlang und durch Neubaugebiete mit großen Häusern, die auch im Münchener Speckgürtel gut passen würden. Mir gefällt hier deutlich besser als im Stadtzentrum. Und dazu ist es auch ziemlich einsam.
Wir trinken unzählige Liter Wasser und kaufen uns im Supermarkt was zu essen. Es verkauft auch einige Berliner Eissorten und ich gönne mir einen Becher. Danach laufe ich lange mit dem kleinen Plastik Behälter in der Hand, bis ich eine Mülltonne finde.
Wir laufen weiter durch herrlich schattige und einsame Wälder in Richtung Tempelhof. Ab und zu überqueren wir eine Straße und erinnern wir uns, dass wir gar nicht so weit von der Zivilisation sind.
Wir beenden die Wanderung in Lichtenrade, ein weiterer schöner Stadtteil mit großen Häusern.
Abenteuerlich wird es, als wir mit dem öffentlichen Nahverkehr zurück ins Hotel wollen. Zeitweise sitzen wir in einer anderen S-Bahn als wir sollten (falsche Anzeige), dann fahren wir zu einer Haltestelle wo es keinen Fußweg über die Gleise und zu unserem Hotel gibt (außer auf Google Maps, aber reicht bekanntlich nicht). Berlin ist und bleibt sehr spannend 😉
Tag 5
Es hat in der Nacht geregnet, und die Luft ist am Vormittag kühl. Es weht ein frischer Wind. Wir checken aus, heute geht es mit Sack und Pack nach Süden. Essen gibt es im Supermarket daneben. Diesmal fahren wir nach Lichtenrade sehr lange mit einem Bus und so gibt es ausgiebig Sightseeing für den Preis einer BVG Karte. Die Strecke geht entlang Wald und Obstwiesen. Die Birnen sind noch ganz grün und hart, aber die Äpfel kann man mit etwas gutem Willen essen. Unterwegs ist wenig los, nur manch ein Mensch auf einem Fahrrad kommt uns entgegen oder überholt uns. Bei dem einem oder anderen habe ich ein Gefühl, dass Mensch und Fahrrad seit Jahrzehnten hier im Kreis fährt. Bei den vielen Menschen, die an der Mauer gestorben sind, würde es mich nicht wundern, wenn manche als Geister hier die Ewigkeit verbringen würden. Links und rechts am Weg gibt es Greifvögelsitze. Leider hat man an nicht Sitze für die Menschen gedacht.
Später folgen wir einem Schild und sind in weniger als 5 Minuten in einem Eiscafe. Ich habe seit langem den Überblick über die Stadtteile und Landkreise verloren. Google zeigt in der Nähe Marienfelde.
Wir beenden die heutige Etappe auf einer Bank im Nirwana, etwa 5 Kilometer von Teltow. Ein Mann auf der Nachbarbank ist den Mauerweg vor Jahren mit dem Rad entlang gefahren. Dann erzählt er uns über die Exklave, die es zu Zeiten der DDR hier gab und über den Weg dorthin, der heute nicht mehr existiert.
Unterwegs zu dem Hotel, wo wir die nächsten Nächte verbringen werden, kommen wir an unglaublich schönen und liebevoll eingerichteten Kleingärten und freundlichen Menschen vorbei.
Die Busfahrt durch den Kreis Potsdam-Mittelmark nach Kleinmalchow ist ein Erlebnis, und das zu dem Preis von einer Breze in München.
Am nächsten Tag haben wir eine kurze Strecke vor uns, bei angenehmen 22 Grad und frischem Wind. An der Busstation gibt es einen Kiosk, wo ein junger Mann Kaffee und Lottoscheine verkauft. Wir trinken Kaffee aber wollen kein Lotto spielen, schon mal wegen der Wahrscheinlichkeitstheorie (die im Grunde besagt, dass es wahrscheinlicher ist, vom Blitz getroffen zu werden, als den Jackpot zu gewinnen). Außerdem bin ich keine Freundin vom Zufall.
Als wir auf der Strecke ankommen, werden wir von einem Läufer überholt. Dann von weiteren. Frauen sind auch dabei, wenn auch viel weniger. Es stellt sich heraus, dass heute der Ultramarathon “100 Meilen Berliner Mauer” stattfindet.
Und so gehen wir den ganzen Tag, von Läufer*innen überholt, die heute so lange laufen, wie wir in 10 Tagen gehen, also 160 Kilometer. Auf dem Boden steht eine Botschaft, die ich gerne befolgen würde, dies sich aber als sehr schwierig erweist.
Zu sehen sind links und rechts knorrige Äste, hier und da ein See mit Wasservögel. Die Landschaft ist reizvoll und man kann es kann glauben, dass wir nur wenige Meter von der Stadtgrenze entfernt sind.
Kurz vor Kilometer 70 des Laufs überholt uns eine Teilnehmerin jenseits der 65 (nicht die einzige in dem Alter) und ich bin voller Bewunderung.
Auch am Grenzübergang Dreilinden muss ich darüber nachdenken, was für eine feine Sache Reisefreiheit ist. Freiheit allgemein. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt und auch für andere Menschen so wird.