Die Strecke von Dreilinden über Potsdam zum Wannsee ist nicht lang (netto 12 Kilometer) aber sie hat es in sich: es gibt sehr viele Sehenswürdigkeiten und Abstecher unterwegs, so dass wir auf mehr als doppelt so viele Kilometer am Ende des Tages kommen. Aber jeder Kilometer ist spannend, und die Landschaft wunderschön.
Zum einen gibt es wieder eine Enklave (oder war es eine Exklave? Kommt auf die Sichtweise an.) zu sehen. Eine Straße trägt den Namen Aylan Kurdi Allee, nach dem im Mittelmeer ertrunkenen kleinen Jungen. Jemand hat das einfach über das Straßenschild geklebt.
Ein paar Mauerreste sind auch noch vorhanden.
Dann geht es nach Potsdam und die Häuser werden immer größer und prächtiger. Wir dürfen nicht am Griebnitzsee entlang laufen, das meiste ist im Privatbesitz. Ab und zu informieren Schilder darüber, dass die Gemeinde sich darum bemüht, dies zu ändern. Es gibt eine Initiative „Freies Ufer“, aber die scheint nicht allzu erfolgreich zu sein.
Der Babelsberger Schlosspark ist hingegen für alle offen.
Von hier aus kann man auch die Glienicker Brücke bewundern, die Jahrzehnte lang Berlin und Potsdam getrennt hat. Auch wenn ich mich wiederhole, ich muss sagen, dass ich sehr froh bin, dass diese Zeiten zu Ende sind. Und grundsätzlich, auch wenn sich manche Sachen zum Schlechteren zu entwickeln scheinen, glaube ich fest daran, dass insgesamt die Welt freier und besser wurde und weiterhin wird.
Am Wannsee muss ich nochmals meine Meinung zu den Häuser in Potsdam revidieren: es geht noch größer und prunkvoller. Wir besuchen noch kurz das „Haus am Wannsee“, wo einige hochrangige Nazis 1942 die „Endlösung“ beschlossen haben. Ich mag gar nicht rein gehen. Zum einem bin ich müde, zum anderen finde ich es ein Ort zum gruseln. Egal, was manche fantasievolle Horror Autor*innen sich denken können, es gibt nichts Schlimmeres, als in der Realität schon passiert ist, was Menschen anderen Menschen antun können.
Am Bahnhof Wannsee gibt es ein Biergarten bayerischer Art. Allerdings gibt es Cous-Cous Salat und Berliner Weiße. Das Personal ist freundlicher und auch die Musik ist besser, als in manche Biergärten in Süden. Ich finde es schön hier.
Am Tag danach geht es zunächst mit der Fähre über den Wannsee und dann weiter zum Groß Glienicker See. Es gibt unterwegs viel Wasser, und noch mehr schöne große Häuser zu sehen. Bislang war es mir noch nicht so bewusst, wie viel Reichtum es um Berlin so gibt, ein richtig dicker Speckgürtel.
Und dann geht es durch den Wald. Es ist heiß und einsam und die Wälder um Berlin sind richtig schön. Ich entdecke eine Eiche und eine Birke, die miteinander „verheiratet“ sind.
Der Weg ist wieder lang und mit jeden Kilometer wächst meine Bewunderung für die Mauer Läufer*innen, die das alles an einem Tag zurück gelegt haben. Am Abend kommen wir in Staaken an und fahren mit dem Zug nach Spandau, wo wir übernachten werden. Wir besuchen die Spandauer Altstadt und verschieben den Besuch der Zitadelle auf das nächste Mal.
Die letzten zwei Tagen „ziehen sich“, trotz des kühleren und angenehmeren Wetters. Von Staaken nach Hennigsdorf ist wieder eine lange Etappe. Man kann in Staaken immer noch gut sehen, wo früher “Westen” und wo “Osten” war.
Ich stelle auch heute fest, wie wunderschön der Wälder um Berlin sind und finde diese Westroute einfach toll. Es gibt Eichen und Birken und auch viele Nadelbäume und es ist zauberhaft schön hier. Von Tag zu Tag hat sich die Landschaft gesteigert.
Geregnet hat auch noch kein einziges Mal (außer nachts) und der graue Himmel über die Havel bringt sieht nicht nur auf dem Foto faszinierend aus, ist aber wenig bedrohlich.
Wir kommen noch am Grenzturm Nieder Neuendorf und dürfen ihn besuchen. Ein älterer Mann passt auf dem Turm auf und sieht so aus, als ob er alles selbst erlebt hätte.
Dann geht es weiter an die Havel entlang. Irgendwann kommen wir am Ende der vorletzten Etappe an und fahren ins Hotel. Ich ärgere mich sehr, als ich feststellen muss, dass die Handtücher nach nur einen Tag (und trotz gegenteiliger Werbung) ausgetauscht worden sind.
Der letzte Tag beginnt mit einer langen Busfahrt an und dann starten wir auf die letzen 16 Kilometer. Auch heute wandern wir viel durch den Wald und ich finde diese Wälder toll. Manche Ecke sieht so aus, als ob hier sich in den letzten tausend Jahren nichts geändert hätte.
Irgendwann verlassen wir wieder den Wald und kommen in einer eigenartig hübsche Wohnsiedlung in Berlin Frohnau: große Backstein Häuser, wie sonst in England stehen sind, um einem runden Platz angeordnet. Große Fenster und viele Blumen an den Fenstern. Es sind Wohnungen für Menschen mit Behinderung, lese ich später im Internet.
Beim Verlassen der Invalidensiedlung kommen wir an einer der letzten Gedenktafeln vorbei. Insgesamt sind 136 Menschen dem Mauer direkt zum Opfer gefallen, fast eins pro Mauerkilometer, jede Geschichte berührend, beängstigend oder beides. Diese Tafel ist für eine der wenigen Frauen aufgestellt worden, die 18-jährige Marinetta Jirkovsky, die hier in der Nähe mit ihrem Verlobten und einen Freund über die Mauer klettern wollte und dabei erschossen wurde. Das Foto zeigt eine lebensfrohe junge Frau, die vermutlich noch viel im Leben vorgehabt hätte.
Eine Stunde dauert noch bis wir wieder am Anfang unserer Strecke stehen. Hier schließt sich der Kreis, nach 10 Tage, 160 Kilometer, unzählige Gedenkstätten, wunderschöne und weniger schöne Ecken um Berlin herum. Ich habe dabei viel gesehen und gelernt. Rein subjektiv fand ich die Westseite am besten. Ich würde den Mauerweg vielleicht das nächste Mal mit dem Fahrrad zurücklegen, aber zu Fuß war es auch wunderschön. Und wenn ich an die Mauerläufer*innen denke, kann man den auch in weniger Zeit schaffen. Jede*r muss das für sich entscheiden.