Frühlingsanfang

Kaum eine Stunde mit der S-Bahn von München entfernt gibt es einen zauberhaften Ort. Oder besser gesagt, eine zauberhafte Strecke, die ich sonst oft mit dem Fahrrad fahre, da sie über 30 km lang ist. Heute möchte ich diese zum ersten Mal zu Fuß gehen, um für die bevorstehende C2C Strecke in England zu trainieren.

Sogar die Fahrt dorthin ist ein Erlebnis. Die S7 hat eine Haltestelle mitten im Wald, Wächterhof, die möglicherweise für Waldbewohner gedacht ist. Weitere Haltestellen gibt es in sehr kleinen verschlafenen Dörfern wo nie jemand ein- oder aussteigt. Ich steige an der Endhaltestelle, Kreuzstraße, mitten im Nirwana aus. Nach den ersten Kilometern auf dem Weg geht es endlich am Wasser entlang. Und dieses Wasser ist wieder die Mangfall, die ich so sehr liebe. Die Mangfall hat nicht die wütende Stärke einer Gudbrandsdal (oder anderer nordischer Gewässer), aber sie kann auch hie und da laut werden, wenn sie über eine Stufe fällt. Aber die meiste Zeit ist sie freundlich, ruhig und glasklar. Schon seit 1882 kommt das Trinkwasser der Stadt München von hier. Die Mangfall hat ein ausgeglichenes Gemüt und möchte sich fast nur durch ihre Schönheit bemerkbar machen.

Die Mangfall hat ein ausgeglichenes Gemüt, kann aber auch laut toben

Es ist Montag und sehr wenig los, aber nicht unbedingt Ruhe: viele Vögel zirpen und zwitschern, ab und an summt ein Insekt. Manchmal zeigt sich auch die Sonne aus einer Wolkenschicht.

Die ersten 10 Kilometer vergehen sehr schnell. Es ist fast schade, dass die schöne Maxlmühle, direkt am Wasser, schon sehr bald auf meiner Strecke liegt, aber ich möchte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und tatsächlich werde ich nicht enttäuscht, das Essen ist lecker.

Weiter geht es an der Seite der Mangfall, die aber immer weiter unten liegt, irgendwann biege ich nach Westen und verlasse sie. Ein gelber Schmetterling ruht sich mitten im Weg aus ich fühle mit ihm. Mir tun auch die Beine langsam weh, aber ich habe noch einiges zu gehen und keine Flügel.

Gotzinger Kircherl

In Gotzing, an der Kirche (das ist ungefähr an der Hälfte meines Weges) setze ich mich sehr gerne auf eine Bank mit Blick auf die Grabsteinen.

Die Gotzinger Trommel hat Ruhetag. Der Wirt macht kein Geheimnis aus seiner politischen Gesinnung. An der Wand hängt ein blau-weißes Plakat der Bayernpartei.

Dann gehe ich weiter, eine lange Strecke an Bauernhöfen und Wiesen vorbei. Am Wegesrand wachsen kleine Blumen, manche weiß, manche gelb, einige lila. Alles steht still. Sogar die Nutztiere bewegen sich kaum, als ob sie auf einem Foto wären und nicht real.

Ich komme an einem verlassenen Haus vorbei und frage mich, welche Geschichte sich darin wohl verbirgt. Wer hat hier gelebt? Wer wollte oder konnte das nicht mehr und warum das Haus mit der Zeit langsam verfällt?

Nach 22 Kilometern kommt die erste ernsthafte Müdigkeit. Wenn ich mir jetzt etwas wünschen könnte, wäre es ein Fahrrad. Bei einer sehr gut gelaunten Wunschfee würde ich sogar nach einem Elektrorad fragen.
Es überholen mich ja genug davon, lautlos und in Windeseile. Aber heute hat die Fee vermutlich auch frei.

Die letzten 8 Kilometer ziehen sich hin, immer langsamer und mühsamer. Das Eis und die längere Pause in Warngau helfen auch nicht wirklich (haben aber auch nicht geschadet).

Kurz nach 18 Uhr komme ich an Bastis Grab vorbei. Ich bleibe hier immer eine kurze Weile stehen. Geboren wurde er an den Tag, als ich meinen 17. Geburtstag feierte und gestorben ist er etwas mehr als 18 Jahre später, an einem Augustnachmittag an einem unbeschrankten Bahnübergang, zusammen mit Markus (22). Seine Geschichte ist in Internet zu lesen auch dass seine Freundin schwanger war. Seine Tochter Bastienne wird in diesem Jahr sieben und hat ihren Vater, einen sehr jungen Wuschelkopf, niemals kennen lernen können. Jedes Mal wenn ich hier vorbeifahre (oder diesmal gehe) bin ich sehr gerührt und sehr dankbar, dass ich und meine Familie leben und gesund sind.

Um 19 Uhr, nach 33,6 km, komme ich in Holzkirchen an. Mir tut fast alles weh, ich möchte mich nur noch in die S-Bahn fallen lassen. Ich freue mich schon auf meinen Bürostuhl morgen und noch mehr auf das nächste Mal an der zauberhaften Mangfall.

2 Antworten auf „Frühlingsanfang“

  1. Super – das ist ja schon ein echt ernstzunehmendes Training für den C2C!! Und wirklich schön geschrieben… machst du dir da unterwegs schon Notizen oder schreibst du es erst hinterher auf? Danke jedenfals fürs virtuelle Mitnehmen. 🙂

    1. Danke. Ich habe heute ein Muskelkater, der sich gewaschen hat, und das nur von Gehen (!). Ich mache schon die eine oder andere Notiz unterwegs, aber am meisten hilft mir, viele Fotos zu machen. Dann kann ich die Stimmung später auch wieder finden 🙂

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