Das ist ein Beitrag zu der Blogparade #wortesindmagisch von Sandra Wickert, Reisetexterin und Bloggerin. Sandra fragt: „Glaubst du daran, dass Worte magische Kraft haben?“
Ja, das glaube ich. Worte und auch die Sprache, in der sie gesprochen werden, haben eine unglaubliche Kraft, die ich oft spüre. Sprache öffnet Türen und Herzen. Oder schließt auch manche. Manchmal ist weniger wichtig was du sagst, als in welcher Sprache du es sagst.
Seitdem ich viel unterwegs bin, habe ich in Verbindung mit Sprachen einiges erlebt, was mich erstaunt, erfreut, manchmal entsetzt und manchmal sprachlos gelassen hat.
Moldawien – und wie die Sprache mich zum Feind oder Freund werden lässt
Unglaublich freundliche Menschen
Moldawien war mir bisher ziemlich unbekannt, obwohl es das Nachbarland von Rumänien, meinem Heimatland ist. Umso mehr habe ich mich gefreut, als mir angeboten wurde, eine Reise dorthin zu begleiten. Tatsächlich ist Moldawien ein Land, wo jeder und jede zweisprachig aufwächst. Also sprechen hier alle entweder Moldawisch (was ein rumänischer Dialekt ist) oder Russisch. Meine Reiseleiterkollegen sprechen alle Russisch. Ich bin soweit die einzige, die Rumänisch spricht. Und stelle sehr bald fest, dass die Sprache etwas mit den Leuten macht. Der Fahrer, die Köchin, die Frau an der Rezeption des Hotels, die einheimischen Guides sind grundsätzlich sehr nett und hilfsbereit. Aber als sie erfahren, dass ich Rumänisch spreche, ist ihre Freude groß und mir wird mit noch mehr Freundschaft begegnet. Ich bekomme Tipps, werde umarmt, alle freuen sich riesig. Es mag vielleicht eine Einbildung sein, aber ich glaube, sie freuen sich mehr, mit mir zu reden, als mit meinen russischsprachigen Kollegen. Es ist für sie einfacher, sie haben eine engere Bindung an Rumänien, oder vielleicht orientieren sie sich mehr nach Westen als nach Osten? Ich weiß es nicht mit Sicherheit.
Es geht auch anders…
Mir wird bitter bewusst, dass es auch anders geht, als wir einen Tag in Transnistrien verbringen. Ein völlig eigenes, skurriles Staatsgebilde, das von niemandem, nicht einmal von Russland selbst, anerkannt wird – und doch seit 24 Jahren existiert. Hier spricht niemand, aber absolut niemand Rumänisch (auch nicht Englisch oder Deutsch). Wäre ich auf einem anderen Planeten oder bei einem unbekannten Stamm im Regenwald gelandet, wäre es nicht schwieriger, mich mit den Menschen zu verständigen. Ich versuche es den ganzen Tag unermüdlich, vielleicht gibt es irgendwen, der eine der Sprachen spricht, die ich auch verstehe. Ich werde einfach mit einem Schulterzucken ignoriert. Am Rand des Marktplatzes in Tiraspol treffen wir eine Frau, die mit uns tatsächlich deutsch spricht. Sie ist aber auch die einzige, die etwas anderes als Russisch sprechen kann oder will. Ich fühle mich zuerst etwas verloren. Dann hole ich mein Mobiltelefon raus und freue mich für den Rest des Tages über den Google Translator und das wunderbare moldawische Funknetz, das auch in diese aus der Zeit gefallene Gegend reicht.
Es kommt noch dicker, als wir den Tag darauf in Gagausien verbringen. Hier verstehen mich die meisten Leute, mit mir Rumänisch reden wollen sie aber nicht. Er könne gar kein Rumänisch, höchstens ein paar Brocken Moldawisch, sagt mir ein Mann in Comrat, der Hauptstadt der autonomen Provinz, in sehr gutem Rumänisch. Wir besuchen das Museum in Besalma und der Empfang ist sehr herzlich, die Führung sehr interessant. Das erfahre ich aber nur, weil mein russischsprachiger Kollege alles auf Deutsch übersetzt. Als wir uns auf der Treppe zum Gruppenfoto hinstellen, kommt ein älterer Mann vorbei. Ich frage ihn auch, ob er Rumänisch spricht. Er schaut mich mit einem gehässigen Blick an und antwortet nicht. Ich bin verwirrt. Hinterher erfahre ich, dass rumänische Soldaten hier während des zweiten Weltkrieges sehr schlimme Verbrechen verübt haben. Ich bin Jahrzehnte danach geboren. Für den Rest des Tages spreche ich deutsch und nur noch mit unserem Fahrer rumänisch.
Ungeachtet dessen, war Moldawien ein Wahnsinn. Die Reise dorthin ist einfach genial (hier mehr dazu).
Rumänien und die deutsche Sprache
Auf den Spuren der Siebenbürger Sachsen
Wenige Monate später begleite ich meine erste Reise nach Rumänien, mein Heimatland. Das Land erstaunt und erfreut mich jedes Mal, wenn ich es besuchen kann. Mehr als ein halbes Leben schon lebe ich in Deutschland und mit wenigen Ausnahmen spreche ich meine Muttersprache nur bei meinen Besuchen in Rumänien. Manchmal muss ich nach Worten suchen. Manche Wörter gab es nicht, als ich das Land verlassen habe (zum Beispiel W-Lan oder Mobiltelefon). Unsere Reise beginnt in Hermannstadt, im Herzen von Transsylvanien und ehemals Hochburg der Siebenbürger Sachsen. Auch wenn nur noch wenige davon im Land übrig sind, steht in dieser Gegend die deutsche Sprache sehr hoch im Kurs. Viele Menschen sprechen Deutsch. Für betuchte Eltern ist es ein Statussymbol, ihre Kinder auf eine deutsche Schule zu schicken. Alle Führungen können auch auf Deutsch gebucht werden und bei den Sehenswürdigkeiten steht oft eine deutsche Erklärung. Sogar die Namen der Ortschaften stehen in zwei Sprachen auf dem Ortsschild. Je weiter nach Norden es geht, gibt es auch viele ungarische Ortschaften und Erklärungen. Die deutsche Sprache ist hier unbestritten wichtig, erstrebenswert. Man freut sich sehr über die Tourist_innen aus Deutschland.
Selbes Land, andere Sitten
Da wir eine sehr kleine Gruppe sind, entscheiden wir, das Programm zu ändern und für zwei Tage nach Bukarest zu fahren. Ich versuche, zwei spannende Führungen (in dem größenwahnsinnigen „Palast des Volkes“ und in der Privatresidenz der Diktatorenfamilie Ceausescu) auf Deutsch zu organisieren. Das ist unmöglich, als Fremdsprachen gibt es nur Englisch und auf Anfrage Französisch. Wir buchen die Führungen auf Englisch; das kann ich zur Not auch gut übersetzen. Beide Guides haben einen unglaublichen schwarzen Humor, der an Monty Python erinnert und vermutlich nur auf Englisch möglich ist. Aber die wichtigste Fremdsprache in der Stadt ist immer noch Französisch. Tatsächlich wird Bukarest „Paris des Ostens“ genannt. Die Bauherren Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich stark an Frankreichs Hauptstadt orientiert. Es gibt auch einen Triumphbogen, ein Athenäum und einige weitere imposante Gebäude, die den Kommunismus überlebt haben und sehr an Paris erinnern. Abends schlendern wir durch das alte Zentrum, das sich in den letzten Jahren zu einer quirligen Ausgehmeile entwickelt hat, die sehr an Berlin Kreuzberg erinnert. Trotzdem sprechen die hübschen Mädels vor den Straßencafés uns nicht einmal auf Deutsch an. Vermutlich ist das hier so unbekannt wie anderorts Finnisch.
Die norwegische Sprache und das Kribbeln im Bauch
Mir wäre nie in den Sinn gekommen, mich mit der norwegischen Sprache zu befassen, bevor ich mich Hals über Kopf in das für mich schönste Land der Welt verliebt habe. Es gibt viele norwegische Dialekte, aber für mich macht das keinen Unterschied, bis auf die Tatsache, dass ich manche davon besser als andere verstehe. Die Sprache hat einen hübschen weichen Klang, als ob sie flüssiges Deutsch wäre. Deutsch ist solide wie ein Stück Holz. Norwegisch fließt samtweich wie Honig (“Honning”), langsam und gelassen, wie die Stimmung in diesem Land. Wie ein Boot, das still auf dem Fjord gleitet.
Die Sprache als Lebensgefühl
Norwegisch ist für mich nicht einfach eine Sprache, sondern ein Lebensgefühl. Es erinnert mich an Menschen und Orte, die mich sprachlos gelassen haben. Erinnert mich an Matt aus Mandal, der mir auf der Fähre über den türkisblauen Lysefjord einen Kaffee spendiert und mit mir über Berlin spricht und meine Aussprache korrigiert. An das Ehepaar aus Kristiansand, mit dem wir uns fröhlich in drei Sprachen unterhalten (ich will Norwegisch lernen, die Frau deutsch reden, aber wir beide brauchen noch viel Englisch, um uns zu verständigen).
Es geht auch um Anna, die Schwedin, die in südnorwegischen Stavanger gelebt hat und sich in einer glänzenden Polarnacht bei Kiruna während einer langen Fahrt mit mir unterhält; davor sind wir mit ihr und acht gut gelaunten Schlittenhunden durch eine Nacht wie ein Wintermärchen gefahren. Ich denke an Jørgen aus Tromsø, der jedem Gast das Gefühl gibt, die wichtigste Person zu sein. Dort, unweit von seinem „Bed and Waffles“ habe ich bei minus 15 Grad die unglaublichen Nordlichter gesehen. Es erinnert mich an die namenlose Frau, die ich oben auf Kjaesen nach dem schweißtreibenden Aufstieg treffe und die sich freut, mit mir über ihre Tochter in Deutschland zu reden. Erinnert mich an den Hausherrn aus dem Bed&Breakfast in Lysebotn, der mich nach meiner wunderschönen Wanderung in den Abendstunden auf dem Jenafjell fragt, ob und wo ich seine Schafe gesehen habe. An die dänischen Pfadfinder in einem Wagen der Norwegischen Bahn, die aus Finse, dem Ort mit dem höchstgelegenen Bahnhof Europas kamen. Wir fahren auf der Strecke von Bergen nach Oslo, eine Bahnfahrt, die so unglaublich wunderschön ist, dass sie sich in keiner Sprache der Welt beschreiben lässt, zumindest nicht von mir. Oder an das ältere Paar aus Stavanger, mit dem ich in einer Vollmondnacht auf der Lügenbrücke in Hermannstadt in Rumänien ein paar Worte über ihre hübsche kleine Stadt wechsele, in der ich gerne länger leben würde. Es ist das und noch so viel mehr. Es ist Fjell, Regen, Wind, Kälte, Polarnacht, Nordlichter, Schneesturm, Mitternachtssonne, gewaltige Wassermassen, Nebel, Schweiß, Sonnenbrand und auf dem Gipfel stehen, tausend Meter über dem Fjord.
Sehnsucht nach dem Norden
Und wenn ich auf dem Münchner Flughafen Menschen höre, die sich auf Norwegisch unterhalten, auch wenn es nur darum geht, den Taxistand zu finden, verspüre ich ein Kribbeln im Bauch und freue mich sehr. Zum einem, weil ich das verstehe. Zum anderen erinnere ich mich dann wieder, dass dieses wunderbare Land nur wenige Stunden entfernt ist. Und auch, wenn es nicht unbedingt auf mich wartet, doch einen einsamen Fjell und einen wunderschönen Wasserfall für mich übrighat. Und vielleicht findet sich auch jemand, der oder die mich mit „Takk for sist“ begrüßt. Danke für das letzte Mal. Oder: Schön, dich wieder zu sehen.
Willst du mich in Sommer 2020 in dieses unglaubliche Land begleiten? Hier gibt es die Möglichkeit.