Mein Bayern und ich

Am Wochenende war Taekwondo Lehrgang in einem kleinen Ort nahe Augsburg, wobei “nahe” relativ ist. Ich habe mir vorgenommen, einen Teil des Weges zu Fuß zurück zu legen. In ein paar Tagen geht es nach England zum Fernwandern und ich muss noch einiges testen: Beine, Rücken und eventuell auch die Regenkleidung. Ich habe mich für die kürzere Variante entschieden, 16 km ab Dinkelscherben und nicht die 30 km ab Augsburg, ich will am Abend noch etwas Energie zum Kicken haben.

Nach den ersten Kilometern höre ich einen Kuckuck rufen zum ersten Mal in diesem Jahr. Bei uns in Rumänien sagt man, dass man sich einen Wunsch überlegen soll, wenn man den Kuckuck zum ersten Mal im Jahr hört, er geht dann in Erfüllung. Ob das stimmt, weiß ich nicht, werde aber eine empirische Untersuchung machen mit einem ganz klaren und kurzfristigen Wunsch für dieses Wochenende.

Es sind unendlich viele Grüntöne zu sehen. Dunkelgrüner Wald, mittelgrünes Gras und glänzend grüne Getreide unterbrochen hier und da durch gelbe Rapsfelder. Der Wind formt Wellen in einen grünen Ozean. Pferde grasen friedlich auf der Weide. In den Dörfern blüht Flieder und es duftet wunderbar. Das erinnert mich an einen Tag in Mai vor etwa 30 Jahren, als ich gerade zum ersten Mal verliebt mit Freundinnen unter einem Fliederbaum wartete, ob mein Schwarm doch noch vorbeikommen würde (er kam nicht).

Ab und zu sehe ich einen Bus, der leer durch die Gegend fährt. Hier fahren alle Auto. Ich brauche mehr als 3 Stunden für ca. 16 km, ein Auto etwa 15 Minuten. Ich überquere die A8 bei Zusmarhausen und ich beobachte, wie schnell sich alles auf vier Rädern bewegt (dafür ist das Internet hier entsetzlich langsam). Wie war es früher, als die Leute noch keine Autos hatten? Ich sinniere über die system-relevante Automobilindustrie hier zu Lande und die Auswirkungen auf Mensch und Natur.

Als ich gerade meine Stulle im Gehen vertilgt habe, erblicke ich eine Bank unter einem Jesuskreuz. Ich gehe weiter und stelle fest, dass Kreuze hier allgegenwärtig sind, deutlich mehr als im Münchner Umland. Kleine und große Kreuze, mit Sprüchen oder ohne und Marias (in Bayern heißen sie Marterln, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Bildstock).

Überhaupt hat fast jedes winzige Dorf eine riesige Kirche. In Violau bei Altenmünster gibt es eine Wallfahrtskirche, bei 102 Einwohnern im Dorf kommen jährlich 35-40.000 Pilgernde vorbei. Ich verstehe langsam, warum ein Opportunist wie Markus Söder Kreuze in Behörden aufhängen will (das heißt aber immer noch nicht, dass ich das gut finde).

Wallfahrtkirche Violau

Auf einem Kreuzweg (wo sonst) kommt mir ein altes Paar entgegen. Er lächelt mich freundlich an und sagt etwas, aber ich verstehe nicht ein einziges Wort, obwohl er vermutlich Deutsch und nicht Finnisch spricht. Die Frau lächelt, sagt “passt schon” und zieht ihn am Arm.

Ich setze mich auf eine Bank neben einer kleinen Kapelle im Wald und genau das ist der Moment, in dem ich zugeben muss, dass ich nirgends lieber wäre als hier und jetzt. Bayern ist für mich wie eine Ehe, die ich irgendwann aus Vernunft eingegangen bin mir aber mittlerweile gut gefällt und ich glaube nicht, dass es etwas Besseres gäbe, trotz meiner Affäre mit Berlin und meiner neuen Liebe zu Skandinavien. Vielleicht etwas weniger Kreuze wären gut, oder zumindest nicht mehr davon. Dafür mehr Fahrräder und vielleicht auch Elektroautos. Aber ich glaube, das ist nicht mehrheitsfähig, zumindest nicht hier und jetzt.

Als ich am Sonntag zurückwandere, musste ich mir eingestehen, dass man nicht weit reisen muss, um wunderschöne Orte zu sehen (und um sich einen Sonnenbrand zu holen). Ja und meine Beine und mein Rücken haben trotz des vielen Sports am Wochenende gehalten. Nur die Regensachen sind nicht zum Einsatz gekommen.

Und was wurde aus dem Wunsch zum ersten Kuckuck-Ruf?  Ja, es hat geklappt.

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