An einem warmen, sonnigen Tag im August 2016 habe ich einen Stein auf der Westküste Englands bei St. Bees aufgehoben und in die Tasche meiner lilafarbenen Wanderhosen gesteckt.
Das war am Startpunkt der Coast to Coast Strecke, die über 300 km von der Irischen See bis Nordsee über drei Nationalparks führt. Die Woche darauf bis zum geplanten Abbruch in Kirkby Stephen wurde eine Erfahrung. Bin schon am ersten Tag fast an meine körperlichen Grenzen gekommen. Und auch seelisch war das voll Höhen und Tiefen so wie der Nationalpark Lake District, durch den ich gelaufen bin. Lake District ist ein Fleckchen Erde von unglaublicher Schönheit: lilafarbenen Berge, dunkelblaue Seen, spitze graue Berge, grüne Wiesen auf denen weiße und schwarze Schafe grasen …
Die Berge sind nicht hoch, dafür aber ziemlich steil und steinig. Das Wetter kann sehr schnell rau werden. Wenn es regnet, kommt das Wasser von allen Seiten, wie aus einer teuren Dusche, nur viel kälter. Aber das Wetter war nicht das, was mich in den nächsten Tagen an meine seelischen Grenzen gebracht hat. Es gab Strecken, auf denen ich das Gefühl hatte, ewig zu gehen und mich doch nur auf der Stelle zu bewegen, „Pfade“ über Moor, in dem ich teilweise fast bis zum Knie eingesunken bin, Wege über Wiesen mit schwarzen Kühen, deren Absichten vermutlich auch ihnen selber nicht klar waren und mich teilweise zu größeren Umwegen gezwungen haben. Dann gab es die Chocolate Factory in Orton, die schöne viktorianische Einrichtung in meiner Unterkunft in Kirkby Stephen, die 6 Rentner*innen, die mit mir wandernd bei strömenden Regen über grüne englische Hügel deutsche Weihnachtslieder gesungen haben (das ist aber eine Geschichte, die ich ein anderes Mal erzählen werde).
Ich kann mich an einen Tag erinnern, wo ich mich in einem tiefen Tal wiederfand. Es war schon spät, sie Sonne stand tief und rot am Horizont. Die Tagestouristen waren weg und ich hatte noch eine lange Strecke vor mir. Ich war falsch abgebogen und stand nun auf einem steilen Gipfel oberhalb eines kleinen schwarzen Sees, Grisdale Lake. Außer mir waren in diesem Tal gefühlt eine Million Schafe, aber keine einzige Menschenseele. Und da spürte ich so eine intensive Einsamkeit, als ob ich der einzige Mensch im Universum wäre, oder auf dieser Erde oder zumindest auf dieser Insel. In diesen See zu fallen und zu versinken wäre nur die nächste Konsequenz und es wäre auch nicht allzu schlimm. Im Gegenteil. Natürlich habe ich dann einem Weg nach unten gefunden, bin aus dem Tal heraus gekommen und auch zu meiner Unterkunft irgendwann Stunden später, wo ich todmüde und ohne Abendessen eingeschlafen bin.
Ich werde im Mai den Weg zu Ende gehen. Der Stein von St. Bees muss zur Ostküste, zum Robin Hood’s Bay. Nun fragt man sich, warum man sich so etwas antut, es gibt doch andere Orte wo man Urlaub ohne Anstrengung und gar nicht mal teurer verbringen kann. Ja, warum? Weil ich es angefangen habe und ich nicht gerne aufgebe? Weil es schwierig ist? (Wenn auch nicht so schwierig, wie Bergsteigen im Hochgebirge, und zumindest nicht wirklich gefährlich). Weil ich die Einsamkeit manchmal brauche? Weil ich schon seit Jahre der Meinung bin, in jeder Situation zu Recht zu kommen, und manchmal eine neue Herausforderung brauche? Weil ich mich auf schöne viktorianische Häuser zum Übernachten, gutes Essen (ja ich weiß es ist England :-)) und nette Begegnungen mit Menschen freue? Es ist all dies und noch viel mehr. Ich freue mich auf jeden Fall sehr darauf.
Zum Einstimmung auf England und auf meiner Wanderung habe ich das Sheperds Pie in der Veganen Version gekocht. Hier geht es zum Rezept.
Danke. Ich werde berichten 🙂
Sehr schön geschrieben – freue mich wenn der Stein Robin Hood’s Bay erreicht und ich die Wanderung virtuell miterleben darf – good luck
!