Es war der Samstag vor Weihnachten, als ich mich spontan entschied, den Flug nach Tromsø zu buchen. Ich hatte eine unendlich lange „to do“ Liste und es fühlte sich alles schwer an. Aber ich hatte Sehnsucht nach dem schönsten Land der Welt und gleichzeitig wollte ich Kontakte mit Tourenanbietern knüpfen. Eine nette Begleiterin hatte sich auch schnell gefunden. Und tatsächlich ist Tromsø schneller zu erreichen als das Münsterland, zumindest von München aus. Der Flug dauert bloß ein wenig mehr als drei Stunden.
Der Anflug über die verschneiten, glitzernden Gipfel ist atemberaubend, so wie ich ihn auch in Erinnerung habe. Ich habe zum Glück einen Platz am Fenster. Die zwei jungen Männer neben mir fotografieren die Landschaft durch das Fenster mit Hilfe von Handy und Selfiestick.
Wir nehmen den Linienbus vom Flughafen und sind nach einer kurzen aber unglaublich schönen Fahrt in unserer Unterkunft.
Bed & Waffles ist fast vollständig ausgebucht. Wir bekommen von Jørgen noch eine Matratze in einem der Einzelzimmer, so dass wir zu zweit übernachten können. Es ist auch Platz genug und wirklich toll, hier zu übernachten. Jørgen gibt jedem und jeder das Gefühl, er oder sie wäre der wichtigste Gast überhaupt. Wäscht oder trocknet die Wäsche der Gäste, leiht Haartrockner, gibt in etwa fünf Sprachen Geheimtipps, bereitet den besten Waffelteig der Welt mit der weltbesten Erdbeermarmelade zu. Und mit mir unterhält er sich langsam und geduldig in seinem schönen Norwegisch.
Den ersten Tag verbringen wir in der Stadt. Ich suche in den Büchereien das eine oder andere Buch, das leicht genug ist, dass ich es verstehen kann, aber trotzdem nicht unbedingt todlangweilig. Ich kaufe Harry Potter (kenne ich eh auswendig) und den Kleinen Prinz.
Die Stadt hat eine Menge Sehenswürdigkeiten zu bieten – hier eine kleine Auswahl:
- Die Eismeerkathedrale (Ishavskatedralen): eine wunderschöne Konstruktion in Stil eines Eisbergs auf der anderen Seite der Tromsøbrua (Tromsø Brücke). Nachts gibt es hier Konzerte, im Sommer unter der Mitternachtssonne und im Winter unter den Nordlichtern. Atemberaubend.
- Das Zentrum mit kleinen Holzkirchen, alten Gebäuden und kleinem Hafen.
- Die Mack Brauerei, die nördlichste Brauerei der Welt (Führungen fast täglich um 15:30) mit angeschlossenen Ølhallen (Bierhallen), und die älteste Kneipe der Stadt. Die Familie des Brauers stammt aus Deutschland, der aktuelle Chef hat in Weihenstephan bei München studiert. Das Bier gärt und gedeiht mit Hilfe von Musik von Elvis, Johnny Cash und anderen Musikgrößen. Auf der verkaufsfertigen Flasche findet man den Spotify Code, mit dem man die entsprechende Playlist abspielen kann. Unglaublich cool!
- Für so eine kleine Stadt beherbergt Tromsø ziemlich viele spannende Museen: unter andedren Polaria mit lebenden Robben, das Universitätsmuseum, das Polarmuseum oder Kunstmuseum und einige mehr.
- Das Cable Car (Fjellheisen), das alle halbe Stunde auf den Stadtberg fährt. Die Sicht ist einfach unbeschreiblich schön, im Winter wie im Sommer (und ich würde sogar wagen zu behaupten, bei jedem Wetter).
In der Stadt bewegen wir uns viel zu Fuß. Das Busnetz ist gut ausgebaut und wenn man die richtige Haltestelle findet, geht alles ganz einfach mit Hilfe der Apps Tromsø Mobilett (Mobile Fahrkarten) und Tromsø Reise (Fahrplanauskunft).
Man kann hier auch viele organisierte Aktivitäten buchen:
Es gibt viele tolle Anbieter (und einige hervorragende, zum Beispiel derjenige, mit dem ich ab nächstem Jahr sehr gerne arbeiten will). Hier eine Auswahl (wobei die Liste sowohl im Sommer wie Winter natürlich noch viel länger ist):
- Fotografie-Touren zu den Nordlichtern: die Nordlichter gleichzeitig zu bewundern und gut zu fotografieren ist nahezu unmöglich, zumindest für die meisten Menschen. Daher lohnt es sich wirklich, sich auf eins von beiden zu konzentrieren. Erfolgsversprechender ist das Bewundern, während das Fotografieren von Profis erklärt oder sogar übernommen wird.
- Fahrten mit Tesla unter den Nordlichtern oder, je nach Jahreszeit, der Mitternachtssonne. Teslas sind eine Augenweide. Die Nordlichter oder die Mitternachtssonne sowieso. Eine Kombination davon ist unbeschreiblich.
- In von Hunden oder von Rentieren gezogenen Schlitten fahren, bei Tag oder bei Nacht. In der Nacht gibt es die Möglichkeit, dabei auch die Nordlichter zu sehen.
- Fjordsightseeing per Boot und Bus, mit Übernachtung oder ohne, um so auf die entspannteste Art die Schönheit der gewaltigen Natur zu bewundern und auf sich wirken zu lassen.
- Organisierte Ski- und Schneeschuhwanderungen…
… und vieles mehr.
Bezaubernde Nordlichter
Je nach Glück kann man auch ohne Tour die Nordlichter sehen. Schon am ersten Abend ist es für uns soweit: bei minus 12 Grad, eingepackt in etwa sieben Kleiderschichten, machen wir uns auf den Weg zum nahegelegenen See Prestvatnet. Wir tragen Stativ und Kamera durch die wunderbare, funkelnde Winterlandschaft. Dann stehen wir auf dem tiefgefroren See – und ich sehe nichts. Meine Begleiterin aber hat Adleraugen und meint, es wäre doch etwas zu sehen. Und bis ich „Lys“ (Licht) denken kann, ist sie da: die Aurora Borealis oder auch: das Nordlicht. Sie bewegt sich mal langsamer, mal schneller. Mal strömt sie wie ein Wasserfall über beleuchtete Häuser, manchmal flackert sie wie ein grünes kaltes Feuer. Und dann bewegt sie sich über unsere Köpfe, füllt den ganzen Himmel. Das auf Fotos einzufangen ist große Kunst, die ich nicht beherrsche. Es ist brutal kalt und bevor mir die Finger abfallen, gibt die Kamera auch ihren Geist auf. Aber es ist passiert, wir haben sie wirklich gesehen, die bezaubernden Nordlichter!
Die heiße Dusche danach fühlt sich unglaublich gut an. Meine Begleiterin wäscht sich mit der Körperkreme und kremt sich danach mit dem Duschgel ein, das ist heute aber egal.
The Great Outdoors
Wie fast jede norwegische Stadt ist Tromsø zwar wunderschön, aber was ihren Reiz ausmacht, sind die Umgebungen, the great outdoors. Also steigen wir am Morgen in den Bus ein und fahren nach Kvaloya (Walinsel). Auf Schneeschuhen (Truga) wollen wir auf den 470 m hohen Rødinden steigen, um eine der wunderschönsten Aussichten zu genießen. Die Wanderung ist als leicht eingestuft (nach norwegischen Verhältnissen).
Etwa in der Mitte stellen wir fest, dass „leicht“ relativ ist. Meine Begleiterin möchte, dass ich alleine weiter gehe, sie will umkehren. Es schneit leicht, und die Sicht ist grau und sehr trübe. Ich finde es auch nicht reizvoll, bei den Sichtverhältnissen weiter nach oben zu gehen. Also kehren wir um und begegnen unterwegs einer Menge Menschen, die auf Skiern oder Schneeschuhen, mit Kindern, Hunden oder ohne auf den Berg gehen, mit einem Lächeln im Gesicht und, wie es mir scheint, leicht und mühelos. Andere Länder, andere Kondition.
Am Nachmittag sind wir wieder in der Stadt, kaufen Brunost (Braunkäse) und Lakritze bevor wir zu unserer Unterkunft laufen, um eine weitere Runde Waffeln zu vertilgen. Am Abend wandern wir zu der Kathedrale und Talstation der Fjellheisen. Die Häuser sehen aus wie aus einem Weihnachtsmärchen.
Schnee über Tromsø
Für den Tag danach ist viel Schnee angekündigt. Wir leihen uns wieder die Schneeschuhe aus und fahren mit der Seilbahn auf den Berg. Der Plan ist, dort oben zu wandern, möglichst bevor der Schnee kommt. Und so machen wir uns fröhlich auf den Weg. Die Sicht über Tromsø ist gigantisch, wenn auch der Fjord dunkelgrau schimmert. Aber wir kommen auch heute nicht bis zum Gipfel: kaum sind wir etwa die Hälfte des Weges gegangen, kommt der vorausgesagte Schnee. Wir sind in wenigen Minuten wie blind. Dort, wo mal die Bergstation war und dahinter die Stadt, sieht man nur noch weiß. Ich gehe vorne, versinke bis zum Knie im Schnee, trotz Schneeschuhen. Es ist steil aber das sehe ich nicht, ich sehe nur weiß. Habe den Pfad verfehlt und wir laufen nun über die gefrorene Oberfläche eines Bergsees.
Es dauert zum Glück nicht mehr lange, bis wir wieder an der Bergstation ankommen, wo wir uns mit einem heißen Getränk und Bratkartoffeln aufwärmen. Die Wanderung an sich wäre leicht, aber bei dem Wetter ist sie nahezu unmöglich.
Wer allerdings mehr Glück mit dem Wetter hat und aktiv um Tromsø unterwegs ist, hat hier einige gut erreichbare Möglichkeiten:
- Leicht: von der Bergstation des Cable Car bis zum Top (Fløya). Die etwa 200 Höhenmeter sind bei fast jedem Wetter eine leichte Übung (nur im Schneesturm nicht, dann aber eine Erfahrung wert).
- Leicht: Nattmålsfjellet auf Kvaløya, mit dem Bus 425 zu erreichen und nur etwa 300 Höhenmeter auf 2km einfache Strecke.
- Leicht: Ørnfløya auf Brennholmen, mit dem Bus 420 oder 422 erreichbar, 150 Höhenmeter auf 1km Strecke
- Medium (für Normalsterbliche): der oben erwähnte Rødinden, erreichbar aus der Stadt in etwa 20 Minuten mit dem Bus 42. Es sind etwa 500 Höhenmeter auf 2km einfache Strecke zu bewältigen und die Sicht soll bei klarem Wetter gigantisch sein. Leider hatten wir kein klares Wetter, also muss ich wieder kommen, um mich davon zu überzeugen, dass es wirklich so ist.
- Medium: zu Fuß auf den Stadtberg Storsteinen steigen. Sommer 2017, als ich ihn erklomm, lag der Schnee noch fast bis zum Knie und es war nicht ganz leicht, nach oben zu kommen. Vermutlich ist das im Winter noch eine Stufe härter. Allerdings darf man nicht von sich auf andere schließen…
Anmerkung: Im Winter geht es besser (oder fast nur) auf Schneeschuhen oder Skiern.
Und wer noch mehr Vorschläge will, hier noch einige von einer lokalen Bloggerin.
Am letzten Tag gehen wir noch ins Museum, spazieren durch die Stadt und essen einen unglaublich leckeren Kuchen, bevor wir uns auf zum Flughafen machen. Und kurz vor der Bushaltestelle passiert es: ich finde in einem Geschäft ein wunderschönes rotes Kleid. Damit wäre bewiesen, dass auch Shopping in dieser schönen Stadt nicht zu kurz kommen muss (wenn auch bei mir nicht wirklich geplant).
Bevor ich es vergesse, eine weitere wichtige Sache: man kann in Tromsø, wie in anderen norwegischen Städten auch, einigermaßen ok bezahlbar essen. Man darf sich nur nicht der Illusion hingeben, das kulinarische Angebot wäre wie in Spanien oder ähnlich… Wir haben relativ gut in der Pizzeria Pinocchio gegessen, sehr gut im Restaurant Egon und auch in der Huken Brygg gab es eine tolle Speisekarte (da konnten wir allerdings nichts mehr essen nach der Waffelorgie am Nachmittag). Sonst gibt es überall Imbissbuden und fast immer offene Narvesen oder SevenEleven mit Fast Food (dort habe ich sogar einmal ein sehr leckeres veganes Burrito ergattert).
Am Tag der Abreise begegnet uns ein alter Herr aus Hamburg, der allein unterwegs ist, um die Nordlichter zu sehen. Wir kommen ins Gespräch und er outet sich schnell als Fan meines Heimatlandes. Und so stehen wir mitten auf der Straße weit nördlich des Nordpolarkreises, neben Bergen von Schnee, und quasseln über Rumänien und die Orte, an die meine Rumänienreise im Herbst führt.
Ich steige in den Flieger und bin wie immer traurig, wenn ich hier weg muss. Aber nicht so traurig wie sonst: die nächste Reise in das schönste Land der Welt ist bereits gebucht.