Wir verlassen Lysefjord mit der Touristenfähre. Am morgen davor habe ich die erste Panikattacke der Reise, als Google mir die Strecke, die ich fahren will, für unmöglich erklärt. Habe ich was übersehen? Auf der Fähre bekomme ich von dem jungen blonden Angestellten einen Kaffee spendiert (vermutlich erinnere ich ihn an seine Mutter :-), den Weg erklärt und Norwegisch Unterricht. Die Sprache hat einen hübschen weichen Klang, als ob es flüssiges Deutsch wäre. Deutsch ist solide wie ein Stück Holz, Norwegisch fließt samtweich wie Honig (“Honning”). Und die Leute finden es toll, dass ich mich in der Landessprache versuche. Ich bekomme viel Lob, wenn zugegeben etwas unverdient.
Wir fahren wie geplant in Forsand von der Fähre ab, und die Lysefjord Brücke ist wunderbar breit und befahrbar, also habe ich nichts übersehen.
Wir fahren auf dem Ryfylke Vegen, eine nationale Touristenstraße, die vom Süden bis fast in die Hochebene Hardanger führt, vorbei an Fjorde, Seen, Berge, Wasserfälle und an der Stabkirche von Røldal.
Ich bin meiner Begleiterin dankbar, dass sie die lange Strecke fährt, und ich die ganze Zeit die Landschaft betrachten und fotografieren kann. Am Ende des Tages kommen wir in dem kleinen Dorf Utne an, das auf einem Landzipfel zwischen zwei Armen des Hardangerfjords liegt. Die Unterkunft liegt ganz idyllisch am Fjord, hinter dem Haus ein Obstgarten. Es wachsen etwa eine halbe Million Obstbäume auf den Hängen in Hardanger. Ich entdecke, dass die Kirschen hier auch fantastisch sind. So wie die Erdbeeren, schmecken sie nach etwas längst Vergessenem, was in den Supermärkten anderswo nicht zu kaufen ist. Ein Glas Erdbeermarmelade werde ich noch mitnehmen. Ich habe den Geschmack das ganze vergangene Jahr überall gesucht aber den gibt es nur hier.
Einen Tag drauf nehmen wir die Fähre nach Kinsarvik um auf einer der schönsten Wanderungen Norwegens zu gehen: die Wasserfälle von Husedalen. Den ersten Teil gehen wir flach entlang des Flusses Kinso und anhand von Tafeln am Wegesrand erfahren wir einiges über die Geologie und die Geschichte der Region.
Nach etwa 3 Kilometer tost der Tveidafossen aus etwa 200 Metern Höhe in den Abgrund. Der Aufstieg wird immer steiler bis zu Nyastølfossen, der ab ca 400 Metern in den Abgrund stürzt.
Wir gehen noch bis zu dem noch höher gelegenen Nikkesjørfossen und lassen den vierten Wasserfall für diesmal sein. 9,5 Kilometer und 1000 Höhenmeter einfache Strecke müssen wir noch zurück gehen.
In Kinsarvik bekomme ich einen leckeren veganen Burger. Wir kaufen noch Bier, Kirschen und Erdbeeren im Supermarkt bevor wir zu unserem Landzipfel umkehren. Und mit Sicht auf den blauen Fjord, blauen Himmel und blauen Dosenbier lassen wir auch diesen Tag ausklingen.
Die letzte Station unserer Reise ist Bergen. Am Abend gibt es wenige Meter vor unserem Hotel ein Konzert. Bruno Mars spielt, erstaunlich gut und erstaunlich lange. Ich sitze mit anderen vor dem großen Fenster im Erdgeschoss und wir sehen das Konzert wie aus einem Logenplatz. Später gehe ich raus auf den Platz und mische mich unter den tanzenden Konzertgäste. Kurz vor halb 1 wird es endlich dunkel, Bruno Mars spielt noch bis um 1. “Summer in Norway: endless days followed by more endless days”, schreibt jemand auf Facebook. So ist es.
Ich bin auch im letzten Jahr nicht ganz warm mit Bergen geworden. Es liegt vielleicht an den vielen Tourist*innen, die mit Kreuzfahrtschiffen hierher gebracht werden und auf den Straßen der Stadt ausgespuckt. Von allen norwegischen Touristenhöllen finde ich Bergen die schlimmste. Aber das ist Norwegen und so ist es ohne Probleme möglich dem zu entfliehen, indem ich oben auf dem Fjell von Fløyen auf die Ulriken gehe. Ganz einsam ist es hier zwar nicht, aber viel weniger los und viel schöner.
Einheimische erkennt man dran, dass sie leicht bekleidet und mit leichten Sportschuhen die Strecke entlang joggen. Oder, wenn sie gehen, sind sie bergauf viel schneller. Und auch bergab. Ich schwitze Eimerweise, aber zum Glück sind hier alle Gewässer trinkbar, daher muss ich mich nicht um Nachschub sorgen. Ich fülle meine Flasche in einem Bach auf, der über einem glitzernden blauen See führt und bilde mir ein, den Geschmack von Schnee zu verspüren.
Oben auf dem Fjell der regenreichsten Stadt der Welt scheint die Sonne, wie sie es den ganzen Tag und die letzten zwei Wochen getan hat.
Am Abend sitzen wir auf einer Bank im Stadtpark, hinter uns die Statue des Königs Haakon und trinken zwei Bier eingewickelt im Zeitungspapier. Über die Alkoholpreise und das Verhältnis zum Alkohol hier in Norwegen wurde auch viel gesagt. Ich finde es völlig in Ordnung.
Wir fahren mit der Bergenbahn wieder nach Oslo, durch etwa 200 Tunnel, über mehr als 300 Brücken und extreme Gefälle, von 0 auf über 1200 Höhenmeter und zurück. Es ist eine grandiose Zugfahrt: alle Landschaftsformen des Südens rauschen an den Fenstern vorüber.
Da ist es mir auch egal, dass die NSB Verspätung hat, dass wir erst um 1 Uhr Nacht im Flughafenhotel sind. Am morgen geht es wieder nach Hause, wo es stark regnet, passend zu meiner Stimmung.
Es waren zwei Wochen voller Schönheit, Wunder und zu meiner Überraschung auch Sonne. Das in einem Land wo auch der Regen schön ist. Es ist ein Jahrhundertsommer in Norwegen und wir durften dabei sein.
Norge, takk for sist. Jeg elsker deg.