C2C Tag 5: Von Oaktree Hills zu Clay Bank Top: wandern on top Englands

Als ich am morgen aufwache, schlafen sogar die Hühner in der Lovesome Hill Farm noch. Es ist 4 Uhr morgens. Ich liege eine Stunde wach, dann schlafe ich wieder ein und bin dann um 7 wirklich wach. Im Zimmer scheint die Sonne.

Im Frühstückszimmer treffe ich Barbara, eine alte Dame mit weißen Haaren und eine Perlenkette. Sie erzählt, sie stamme von hier, lebe aber seit langem in West Virginia auf einer Farm. Nun besucht sie ihre Verwandten aber schläft gerne im Bed and Breakfast. Und dann erzählt sie über ihren Bluthochdruck, sie müsse aufpassen was sie esse, und daher isst sie nur eine halbe Scheibe Brot, erzählt sie, während sie sich auf ihr englisches Frühstück mit Eiern, Blutwurst und Speck stürzt.
Ich ziehe los, und die ersten flachen 10 km ziehen sich schon. Wieder eine Farm. Kühe. Schafe. Grüne und gelbe Felder. Hasen (lebende wie leider auch überfahrene auf der Straße).

Ein übergewichtiger Jack Russel bellt sich die Seele aus dem Leib, als ich an “seinem” Haus vorbei komme. Insekten fliegen und summen. Ein Schild warnt vor der lokalen Hexe.
Vor Ingelby Arncliffe überquere ich die 6-spurige Autobahn (der Weg ist wirklich so!), überlebe das, um fast von hinten von einem absolut ruhigen Elektroauto überfahren zu werden. Beides kann mir in Deutschland nicht passieren (bemerke den Sarkasmus…).
Im Joiners in Ingelby Cross bekomme ich einen wunderbaren Porridge und Chai Latte mit Hafermilch.
Es geht gleich weiter, doppelt so lang und viel steiler bis heute Abend. Zuerst ins Arncliffe Wood, dann Scarth Wood Moor.
Die Bäume der Huthwaite green haben knorrige Äste, wie Finger einer alten Hexe (derjenigen, von der früher gewarnt wurde? Glaube ich nicht, es ist zu weit).
Es geht in den Nationalpark North York Moors. Nach der ersten (oder vielleicht zweiten) steilen Steigung stehe ich erst oben und die Sicht ist atemberaubend, fast bis zur Nordsee. Ich bin “on the top Englands”.
Das Heidekraut blüht noch nicht, es ist noch braun. Braune Vögel (keine Ahnung, welche Art), strecken ab und zu ihre Köpfchen raus. Sonst halten sie sich versteckt und machen Geräusche wie eine Rassel.
Ein kleines, lautes Flugzeug dreht Runden am Himmel wie ein nerviges Insekt, dann verschwindet es. Nun ist es sehr ruhig.
Und dann geht es wieder steil nach unten und wieder steil rauf. Mein Schatten wird immer länger, der Rucksack scheuert. Dann komme ich an eine Straße, und dort steht dass es noch 3,5 Meilen bis zu meinem heutigen Ziel sind. Ich rechne unfreiwillig in Kilometer um. Aber das Problem sind nicht die Kilometer, sondern es geht wieder steil rauf. Dann steil runter. Heute habe ich niemanden auf Coast to Coast getroffen, bloß Leute auf Tagesausflügen, die mit ihren Hunden spazieren, und ich fühle mich etwas einsam, aber auf eine angenehme Art und Weise.
Ich schaue nochmals nach vorne und dann ins Buch und dann auf meinen GPS. Es gibt einen kleinen Weg, der relativ eben vorbei an die nächsten Hügel führt. Im Buch lese ich, dass anständige Wander★innen diesen Weg links liegen lassen und auf den Spuren von Wainwright (der Entdecker von C2C) die Berge entlangwandern. Kurz nach 6 entscheide ich, Wainwright einen guten Mann sein zu lassen und die letzten 3 km unanständig und möglichst flach zu wandern.
Auch so, habe ich mit 32 km und 1100 Höhenmeter einen langen und harten Tag gehabt. Aber auch wunderschön.
Am Ende des Tages sehen meine Kamera und mein Handy aus wie ich mich fühle: lädiert und voller Kratzer, aber funktionieren noch.
Im Buck’s Inn ist der Chef ein Deutscher aus Heidelberg und kurze Zeit später sitze ich vor einem Erdinger Weißbier und esse einen Quorn Schnitzel mit fettigen Pommes und freue mich sehr auf dem Tag morgen, der nur halb so lang sein wird. Hier sitzen auch die Eltern mit dem Sohn und eines der Paare von gestern, sowie eine weitere Gruppe von 3 männlichen Wanderer, die ich heute zum ersten Mal sehe.
Ich schließe den Tag mit dem Zitat, der mich heute verfolgt hat: “Niemand hat es sich hier so vorgestellt, so heiß und der Himmel so leer und blau.” (Rose Tremain, Der weite Weg nach Hause).
So ist es.