Die Vorstandsassistentin kaute an ihren rechten Daumennagel. Ihre Wangen glühten und ihre Haare waren zerzaust. Der Polizist Ahrend dachte sich: „Hätte ich nur Layla dabei. Sie kann mit so etwas umgehen“. Layla al-Khatib, die Kollegin des Polizisten hatte sich allerdings nicht überreden lassen, nach Süddeutschland umzuziehen. „Nach München?“, hatte sie gefragt „Wo soll ich da wohnen? Habe ja nicht in Lotto gewonnen!“, hatte sie noch hinzugefügt. Nun ja, München war sicher schöner als Barsinghausen bei Hannover (und bösen Zungen zu Folge auch schöner als Hannover selbst) aber sie hatte natürlich Recht. Eine Wohnung in München oder Umgebung zu finden, die man von einem Polizisten Gehalt zahlen konnte, war eine Sache der Unmöglichkeit. Ahrend wohnte immer noch bei einem Freund im Wohnzimmer auf einer Matratze…
Und nun war er bei der Andana AG im Besprechungszimmer und befragte Frau Mihalic. „Bitte, erzählen Sie von Anfang an, was passiert ist“, sagte er mit einer, wie er annahm, beruhigenden Stimme.
Amalia Mihalic, eine sehr gepflegte Dame von 52 Jahren schnief in ein Taschentuch und kaute wieder an ihrem rot lackierten Daumennagel. Diesmal an dem linken. „Sie saßen schon 6 Stunden in der Vorstandssitzung, als,… als,…“. Sie brach in Tränen aus. „Wann haben sie mit der Besprechung angefangen?“ fragte Ahrend und hoffte, dass sie bald aufhörte zu weinen. Vielleicht hätte er doch noch jemand zur seelsorgerischen Unterstützung mitnehmen sollen. „Wie immer um 13 Uhr. Jeden Monat, den dritten Mittwoch, ist eine Vorstandssitzung für zwei Stunden angesetzt“, sagte sie und rotze wieder laut in ihr aus feinen Stoff gewebten Taschentuch. „Aber sie sagten gerade, dass sie sechs Stunden saßen?“, hob Ahrendt die linke Augenbraue. „Das tun sie immer“, sagte Frau Mihalic. Sie setzten es für zwei Stunden an, aber vor 8 Uhr abends sind sie nie fertig“. Sie war auf einmal viel ruhiger und fing an zu erzählen.
Andana AG war vor 15 Jahren von zwei Freunden gegründet worden um Sportartikel und Nahrungsergänzungsmittel zu vertreiben. Die Geschäfte liefen anfangs gut. Die eher wohlhabende Stadtbevölkerung konnte und wollte sich einiges leisten, um ihre Körper in Form zu bringen oder zu halten. Frank Albers und Martin Meyer, die beiden Gründer, stellten vor zwei Jahren Julia Becker, eine Betriebswirtin die ihnen helfen sollte, das Wachstum zu bewältigen und an der Börse Geld zu sammeln, ein. Sie war eine junge und kompetente Person, die in einem großen Unternehmen gelernt hatte, mit Hilfe von Zahlen zu führen und vor allem ihre Ellbogen einzusetzen. „Malen nach Zahlen“, war der böse Kommentar aus der nächsten Führungsebene, wenn sie über Julia Becker hinter vorgehaltener Hand sprachen. Amalia Mihalic erzählte weiter, dass die drei nicht wirklich gute Freunde waren. Frank und Martin verstanden sich seit langem nicht mehr und das Unternehmen lief auch nicht mehr gut. Oder umgekehrt, das Unternehmen lief nicht gut und daher verstanden sie sich nicht mehr. Ein typisches Ei-Henne Problem. Und nun war Frank tot, Julia und Martin standen unter Schock.
„Was haben sie gegessen und getrunken?“ fragte Ahrendt. „Normalerweise hätte ich etwas bestellt“, sagte Frau Mihalic. „Aber heute wollten sie nicht, Frau Becker hatte gekocht, ich meine, für alle.“ Sie fing wieder an zu weinen. „Glauben Sie, es war etwas Schlechtes drin?“. „Das werden wir im Labor untersuchen“, antwortete Ahrend. Er hatte noch sehr viele Fragen. Warum war Frank gestorben? Weshalb zeigten die anderen keine Symptome? Was könnte im Essen so schlecht gewesen sein, dass jemand daran stirbt?
Einige Tage drauf hatte er noch mehr Fragen, wenn auch ein paar Antworten mehr. Das Essen war einwandfrei. Ein afrikanisches Gericht ohne Fleisch aber mit viel Kohl und Tomaten, geschmort im Mangosaft. Ahrend nahm sich vor, irgendwann selber kochen zu lernen. Das Rauchen hatte er reduziert, aber mit dem Übergewicht war das so eine Sache. Und im Fitness Studio hatte er auch nicht lange durchgehalten…
Julia Becker nahm mit eleganten Bewegungen Platz auf dem Bürostuhl in Ahrends Zimmer. Sie war eine große, schlanke Frau Mitte 30 mit einem akkuraten Scheitel auf der rechten Seite ihrer dunklen Kurzhaarfrisur. Von langen Stiefeln angefangen bis zum Rollkragen Pullover, alles an ihr war schwarz. Ahrend ahnte, dass sie diese Farbe oft trug. „Frau Becker, ich werde nicht um den heißen Brei herum reden“, sagte Ahrend. „Oder besser gesagt, nicht um den heißen Eintopf.“, versuchte er sich an einem Witz was er fast augenblicklich bereute. „Frank Albers ist an einem anaphylaktischen Schock gestorben, hervorgerufen durch Erdnussbutter in dem von Ihnen mitgebrachtem Essen.“ „Und Sie glauben, ich hätte etwas damit zu tun?“ fragte Julia Becker, eine Augenbraue hebend. „Für wie dumm halten Sie mich? Ich wusste von Franks Allergie und ich hätte nie etwas mitgebracht, das nur in der Nähe einer Erdnuss gewesen ist!“, fauchte Sie. „Ich halte Sie nicht für dumm…“ versuchte Ahrens. „Das könnten Sie allerdings wohl, ich bin unglaublich bescheuert gewesen, in diese Firma einzusteigen. Ich bin maßlos dumm gewesen, Frank und den Bilanzen zu glauben und meine Ersparnisse in die Firma zu investieren. Ja, ich bin noch viel blöder gewesen, das ich keinen Schlussstrich gezogen habe, als ich endlich sah, wie es um die Firma wirklich steht. Ich dachte noch, wir könnten gemeinsam die Sache rausreißen, aber von gemeinsam konnte keine Rede mehr sein in den letzten Monaten.“ „Ich hätte sowohl Frank als auch Martin eigenhändig erwürgt, weil sie mich in dieser Situation hinein getrieben haben.“, zischte sie. „Aber ich habe es nicht getan und wenn ich es getan hätte, nicht so plump.“ „Darf ich nun gehen?“ fragte sie scharf und stand auf. Ahrend nickte. Das Labor hatte zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Erdnussbutter zumindest nicht im Topf gewesen sein konnten. Aber wer hatte sie dann in Franks Teller hinein gegeben?
Martin Meyer hatte leuchtend blaue Augen. Der Besitzer der Augen war laut seinem Ausweis 42 Jahre alt, sah aber wesentlich jünger aus, nur gerade sehr müde. „Herr Meyer, Sie haben auch keine Ahnung, wie die Erdnussbutter in Franks Teller kam?“ fragte Ahrend. „Sie wollen bestimmt wissen, ob ich es war, nehme ich an“, antwortete Meyer. „Nein, habe ich nicht aber ich frage mich seitdem, warum eigentlich nicht“, ergänzte er bitter. Ahrend blickte überrascht auf. „Warum sagen Sie das?“ „Wissen Sie, Frank und ich haben vor 15 Jahren diese Firma gegründet. Wir waren zwei junge Männer, die spielerisch etwas auf die Beine stellen wollten, aber wir hatten überhaupt kein Gefühl der Verantwortung. Wir hatten einfach Spaß bei der Sache. Irgendwann war es damit vorbei. Wir hatten 120 Leute, die für uns arbeiteten und von uns abhängig waren, die Bank, die Kunden, die Lieferanten wollten auch zufriedengestellt werden. Und wissen sie noch was? Ich habe zwei Kinder. Meine Tochter ist neun. Ich war bei ihrer Geburt unterwegs, habe ihre ersten Schritte nicht miterlebt, ihre Kinderkrankheiten sind an mir vorbei gegangen. Zum Glück haben ihre Mutter und ich nach der Scheidung eine ausreichend gute Beziehung, so dass ich ab und zu Fotos von ihr bekomme und dass ich manchmal mit ihr telefonieren kann. Mein Sohn ist nun zwei und meine Freundin, seine Mutter, hat mich vor drei Monate sitzen gelassen. Sie sagte, es wäre ihr egal, ob wir zusammen sind oder nicht, ich wäre eh niemals da. Und verdammt nochmal, ja, sie hat Recht“, endete er seine Tirade. „Frank hat die Firma zugrunde gerichtet, Julia hat es zugelassen und ich habe alles verloren. Aber nochmals verdammt, ich habe die Erdnussbutter nicht in sein Essen getan“. Er atmete aus und stand auf.
Ahrend nickte und verabschiedete ihn. Er hatte bereits eine Theorie, die er mit Layla am Telefon bereits besprochen hatte. Dafür musste er nochmals in die Firma, um sich mit Frau Mihalic zu unterhalten. Er fand sie im Zimmer vor dem leeren Büro, in dem Frank Albers früher gesessen hatte. Sie hatte tiefe Augenringe aber ihre Haare waren wieder so gepflegt, als hätte sie jedes einzelne Haar an den richtigen Ort platziert. Sie blickte über ihre Brille und fragte trotzig: „Sollten Sie nicht gerade einen Mörder überführen, Herr Polizist?“. Ahrend antwortete nach einer fast unmerklichen Pause: „Ich bin gerade dabei, Frau Mihalic.“ Sie schwieg und hielt ihren Atem an. „Was wollen sie damit sagen?“. „Ich will sagen, dass sie die einzige sind, die die Erdnussbutterin den richtigen Teller hinein gegeben haben könnte. Die anderen zwei hätten sicher Gründe, aber nicht die Gelegenheit, da sie immer mindestens zu zweit waren. Sie hatten die Gelegenheit, aber ich frage mich nach dem Warum, zumindest fällt mir auf Anhieb nichts ein.“ Amalia Mihalic schwieg lange, dann stand sie auf. „Wollen Sie wissen, ob ich es war?“ fragte sie. „Ich glaube, dass ich das weiß“, antwortete der Polizist. „Aber warum?“ „Ja, warum wohl“, schrie sie. „Er hat die Firma zu Grunde gerichtet, alle drei haben es und damit uns auch. Wer nur einen Funken Verstand hat, hat das kommen sehen. Und in den letzten Monaten war es klar, dass alles den Bach runtergeht. Und wir alle unsere Jobs verlieren werden. Ich habe alles gegeben, habe mein Leben dieser Firma gewidmet! Und wer nimmt mich noch mit 52? Wissen Sie, was in dieser Stadt passiert, wenn man seinen Job verliert? Als nächstes ist die Wohnung weg und zwar unmittelbar danach. Diese Stadt gibt einem einen Arschtritt, wenn man nicht der Großverdiener ist, wenn man Familie hat, oder ganz allein und ohne Job ist. Und das kann ich nicht so hinnehmen, dass er ungeschoren davon kommt. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich alle drei umgebracht! Und nun, verhaften Sie mich. Ich werde zumindest bis zu meinem Rentenalter ein gesichertes Dach über den Kopf haben“, sagte sie nun würdevoll, dann stand sie plötzlich auf und nahm ihre Louis Vuitton Tasche vom Stuhl nebenan.
Ahrend kratze sich am Kopf und suchte sein Mobiltelefon in der Tasche, um seine Kollegen anzurufen. Und verflixt, er würde diesen Eintopf nachkochen und ganz viel Erdnussbutter hinein geben. Zum Glück war er dagegen nicht allergisch.
(hier das Rezept dazu 😋. Zum Sterben lecker.)